Chronik der Ereignisse in Berlin vom 1.5.1987 bis zum 18.6.1987

2./3.4.1987

Innenministerkonferenz in Berlin. Ein zentrales Thema dort ist die Diskussion über Möglichkeiten, zum Reagan-Besuch die Berliner Polizei durch Einsatzkräfte aus dem Bundesgebiet zu verstärken.

30.4.1987

Offizieller Festakt zur Eröffnung der 750-Jahrfeier Berlins im ICC: Zur Nationalhymne und Kanzleransprache dürfen 4500 geladene Gäste sich an üppigen Büfetts erfreuen

1.5.1987

Durchsuchung des VOBO-Büros im Mehringhof: Um 4.45 Uhr riegeln zehn Mannschaftswagen der Polizei das Gelände des Mehringhofes ab, brechen mehrere Tore und Türen auf, durchsuchen das Volkszählungsinformations-Büro, beschlagnahmen Broschüren, Plakate und Flugblätter. Neben dem VIB werden auch das Netzwerk-Büro und die Räume der Kneipe »Ex« aufgebrochen. Die Polizei entfernt sich, ohne auch nur einem der Inhaber eine Mittteilung über die Durchsuchung zu machen. So stehen die Räume über mehrere Stunden hinweg offen, für jedermann zugänglich. Begründung im zurückgelassenen Durchsuchungsprotokoll »Gefahr im Verzug«, »Verdacht der Aufforderung zu Straftaten«.

Straßenfest auf dem Lausitzer Platz in Kreuzberg: Die Stimmung ist leicht gereizt wegen der unrechtmäßigen Durchsuchungsaktion im Mehringhof. Am Nachmittag wird ein VW-Bus der Polizei umgeworfen, am frühen Abend zwei Bauwagen auf die Straße geschoben. Der überwiegende Teil der Anwesenden (Personen aller Altersgruppen, sehr viele Kinder) vergnügt sich weiterhin nichts ahnend auf dem Straßenfest. Die Polizei geht mit unverhältnismäßiger Härte gegen die vereinzelten Störungen vor. Mit massivem Schlagstock- und Tränengaseinsatz wird das Fest kurzerhand aufgelöst. Die aufgebrachten Straßenfestbesucher errichten spontan Blockaden auf mehreren Straßen. Die Polizei zieht sich überraschenderweise zurück und läßt den folgenden Ereignissen freien Lauf. Es werden Bauwagen und Autos in Brand gesetzt und als Barrikaden benutzt. Geschäfte werden aufgebrochen und geplündert, darunter auch ein Supermarkt am Görlitzer Bahnhof, der dann angezündet wird und völlig ausbrennt. Löschfahrzeuge der Feuerwehr werden angegriffen und nicht durchgelassen. An den Plünderungsaktionen beteiligen sich im Laufe der Nacht auch viele »normale« Kreuzberger Bürger.

Erst ab ca. 2.00 Uhr nachts greift die Polizei wieder massiv ein. Mit Wasserwerfern und Räumfahrzeugen rückt sie gegen die brennenden Barrikaden und die noch verbliebenen Demonstranten an. Es werden 55 Personen festgenommen, überwiegend Betrunkene und einzelne Personen auf ihrem Heimweg, gegen die nun mit großer Brutalität und Härte vorgegangen wird

2.5.1987

Auf dem Stadtteilfest in Berlin-Spandau gibt der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen eine erste Stellungnahme zu den Auseinandersetzungen in Kreuzberg ab: »Eine Clique von Anti-Berlinern hat sich in brutaler Gewalt zusammengerottet, um zu stören und zu zerstören. Das lassen die Berliner sich nicht gefallen.«

Kreuzberg 36 wird unter massive Polizeibewachung gestellt, die in den folgenden Wochen permanent aufrechterhalten wird. Ca. 1000 Polizisten sind ständig im Einsatz, es gibt Polizeisperren, Kneipen am Heinrichplatz werden mit Tränengas beschossen und von Polizeikräften gestürmt. Immer wieder kommt es zu Schlagstockeinsätzen und willkürlichen Festnahmen von Personen, die sich gerade auf der Straße befinden.

9.5.1987

Aktion gegen die Volkszählung am Kranzler-Eck (Ku-damm): »Informationsmaterial des statistischen Landesamtes soll einer sinnvollen Verwertung entgegengeführt werden«. Mehrere Hundertschaften der Polizei versuchen die Veranstaltung aufzulösen. 26 Personen werden festgenommen. Weil das Info-Material teilweise verbrannt oder zerrissen wurde, müssen die Festgenommenen mit einer Anklage wegen Brandstiftung und Sachbeschädigung rechnen.

14. 5. 1987

Eine angemeldete Demonstration gegen die Kraftwerksunion (KWU) und die Deutsche Bank, die vom KWU-Gebäude in Moabit zur Deutschen Bank am Olivaer Platz führen sollte, wird verboten. Trotzdem bildet sich ein spontaner Demo-Zug auf dem Kudamm mit ca. 700 Leuten. Der Zug wird von einem starken Polizeiaufgebot eskortiert und zeitweilig eingekesselt. In U-Bahnstationen kommt es zu scharfen Ausweis- und Taschenkontrollen sowie Leibesvisitationen. In der Nähe der KWU kommt es - angeblich wegen Flugblattverteilens - zu Festhahmen.

16. 5. 1987

Demonstration gegen die Volkszählung, ca. 12.000 Teilnehmer/-innen: Der Verlauf ist überwiegend friedlich, am Rande kommt es zu vereinzelten Steinwürfen gegen Bank- und Supermarktfilialen. Die Polizei geht mit ausgesprochener Härte gegen die Menge der Demonstranten vor, sie versucht zeitweilig, den Demonstrationszug zu spalten. Es kommt zu mehreren Festnahmen.

Am Abend und in der Nacht kommt es erneut zu Auseinandersetzungen mit der Polizei in Kreuzberg. Nach einem Punk-Konzert in SO 36 fliegen einige Bierdosen und Steine in Richtung der ständig patrouillierenden Polizeifahrzeuge, ein Bauwagen wird angezündet. Die Polizei greift massiv ein: Sie geht gegen alle sich im Bereich der Oranienstraße/Heinrichplatz befindlichen Personen vor, stürmt mehrere Lokale und Diskotheken, jagt und verprügelt einzelne Personen in den Seitenstraßen. Bilanz dieser Nacht: 70 Festnahmen. Aus einem in Radio 100 veröffentlichten Mitschnitt des Polizeifunks
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