An den Grenzübergängen werden bei der Einreise nach Berlin scharfe Kontrollen bei all denjenigen durchgeführt, die augenscheinlich Demonstranten sein könnten.

7. 6. 1987

Turn-Aktion auf dem Ku-damm: Anläßlich des Turnfestes versammeln sich ca. 150 »Anti-Reagan-Turner« auf dem Breitscheidplatz. Die Polizei führt scharfe Ausweiskontrollen und Durchsuchungen durch. Eine spontane Demo auf dem Ku-damm wird von starkem Polizeispalier begleitet. Es gibt eine vorläufige Festnahme


7./8. 6. 1987

Ein längst abgesagtes »sozialrevolutionäres Straßenfest« am Heinrichplatz veranlaßt die Polizei, die ohnehin seit Wochen Dauerpräsenz zeigt, den gesamten Bereich um den Heinrichplatz abzusperren. Schwere Räumfahrzeuge sind im Einsatz, obwohl es keinerlei Auseinandersetzungen gibt. In Ermangelung anderer Aufgaben verteilen die im Einsatz befindlichen Polizisten Strafzettel für Falschparker.

11.6. 1987

Anti-Reagan-Demonstration: Ca. 50.000 Menschen demonstrieren gegen den Besuch Ronald Reagans in Berlin und gegen die US-Politik, darunter ein starker Autonomer Block (ca. 3.000). Die Polizei hat Vorbereitungen für Massenverhaftungen getroffen und die Abschiebehaftanstalt in der Kruppstraße geräumt. Die dort einsitzenden Ausländer wurden vorläufig in ein anderes Gefängnis verlegt. Ein riesiges Polizeiaufgebot sichert den Ku-damm. Der Demonstrationszug geht um 17.30 Uhr am Sammelpunkt Kant- Ecke Wilmersdorfer Straße los. Die geplante Aufstellung, die festorganisierte Gruppen vor und hinter den Autonomen vorsieht, kann jedoch nicht eingehalten werden. An der Ecke Kant-/Kaiser Friedrich Straße reihen sich mehrere 100 Menschen zwischen Lateinamerika-Initiativen und Autonomen ein. Sie bringen im Laute der Demo den Zug mehrfach zum Stehen. Am Olivaer Platz fliegen Steine auf ein west-deutsches Polizeifahrzeug, im weiteren Verlauf auch auf PKWs, aus denen fotographiert und gefilmt werden, sowie auf Geschäfte und Banken. Vor dem Autonomen Block entstehen immer größere Lücken, der restliche Zug stockt ständig. Dann schert die SEW, die hinter den Autonomen geht, aus und überholt.

Die Abschlußkundgebung findet nicht wie geplant auf dem Breitscheidplatz statt, sondern ist - auf Anordnung der Polizei aus Sicherheitsgründen - auf den Platz vor der Urania verlegt worden. Diese ist schon zu Ende, bevor alle Teilnehmer den Platz erreicht haben. In etwa zeitgleich zum Ende der Kundgebung kommt es am Wittenbergplatz zu den ersten Auseinandersetzungen, bei denen einige Scheiben des Ka De We zu Bruch gehen. Das Kaufhaus ist im Gegensatz zu vergleichbaren Anlässen in früherer Zeit nur gering geschützt. In unmittelbarer Nähe hält sich auch eine Gruppe neonazistischer Skins auf. Vom Mittelstreifen aus fliegen Steine in den Demonstrationszug, unklar ist, ob es sich dabei um Polizeiprovokateure handelt. Die Polizei reagiert mit einem massiven Schlagstockeinsatz auf alle Umstehenden. Es entsteht ein Durcheinander, die Teilnehmer verteilen sich auf dem Wittenbergplatz, ziehen dann aber weiter in Richtung Kundgebungsort. Dort ist aber schon längst alles vorbei. Keine Polizei ist zu sehen. Auf der Strecke zwischen Wittenbergplatz und Nollendorfplatz gehen weitere Schaufenster zu Bruch. Die Scheiben eines Getränkemarktes werden eingeworfen und die Auslagen geplündert. Die Polizei geht mit Tränengas und Schlagstöcken gegen alle Personen vor, die sich in diesem Bereich befinden, gleichzeitig riegelt sie die Straßen in der City ab.

Am Winterfeldplatz wird ein Müllcontainer und ein PKW angezündet. Von Polizei verfolgt, zerstreut sich die Menge. In den Straßen rund um den Nollendorfplatz sind sehr viele Menschen unterwegs bzw. sitzen in den umliegenden Straßencafes. Die Polizei patrouilliert die ganze Nacht im Bereich Schöneberg (Potsdamer Str., Winterfeldplatz, Nollendorfplatz). Einzelne Personen werden von der Polizei verfolgt, teilweise mit Schlagstöcken verprügelt und festgenommen, obwohl es von Seiten der Verfolgten keinerlei Gewaltanwendung oder Gegenwehr gab.

11./12.6.87

Kreuzberg 36

In 36 fährt am Abend ein starkes Aufgebot von Polizeieinheiten auf. Um den Heinrichplatz gibt es vereinzelte Versuche, kleine Barrikaden auf den Straßen zu errichten. Die Polizei riegelt die Straßen rings um den Heinrichplatz ab und geht mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die auf der Straße befindlichen Personen vor. Einsatzkommandos verfolgen die Leute, treiben sie in verschiedene Straßen, einzelne werden zu Boden gestoßen und verprügelt. Die Polizei leuchtet Häuser mit Scheinwerfern ab, Treppenhäuser werden gestürmt. Eine Kneipe in der Oranienstraße wird mit Tränengas beschossen und gestürmt. In der Nacht kommt es mehrfach zu Übergriffen der Polizei auf anwesende Journalisten und Pressefotografen. Ein Journalist wird von mehreren Polizeibeamten brutal zusammengeschlagen, obwohl er sich als Pressevertreter ausgewiesen hatte.

Laut Ermittlungsausschuß kommt es zu ca. 100 Festnahmen in dieser Nacht.

12.6.87

Abriegelung Kreuzbergs

Am Morgen wird über Radio noch einmal bekanntgegeben, daß die Berliner gebeten werden, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, da es wegen der Sicherheitsvorkehrungen im Zusammenhang mit dem Besuch Reagans zu zeitweisen Straßensperrungen im Bereich nördliches Kreuzberg und im ganzen Bereich Tiergarten kommt.

Um ca. 11.00 Uhr stellt die U-Bahnlinie 1 zwischen Schlesischem Tor und Gleisdreieck und die U 8 zwischen Voltastraße und Hermannstr. den Fahrbetrieb ein. Die BVG gibt als Grund »Betriebsstörung« an. Ebenfalls eingestellt wird der Verkehr der Busse 28 und 29 in Kreuzberg 36. Von der BVG in Aussicht gestellte Ersatzbusse verkehren nicht.

An den U-Bahnhöfen und auf den Zufahrtsstraßen in Richtung Innenstadt sind zahlreiche Polizeikontrollen. Fahrzeuge werden durchsucht, ohne Angabe von Gründen werden sie an der Weiterfahrt gehindert. Es werden umfangreiche Personen- und Taschenkontrollen durchgeführt. In den Bereich dieser polizeilichen Maßnahmen gelangen alle Kreuzberger Bürger: Männer und Frauen werden daran gehindert, ihre Arbeitsstellen zu errreichen, Schülern ist der Nachhauseweg verwehrt.

12.6.87

Rede Reagans vor dem Brandenburger Tor

Unter starkem Polizeiaufgebot hält Reagan seine Rede. Der Tiergarten ist mit Stacheldraht weiträumig abgesperrt. Unter den 20.000 handverlesenen Zuschauern befinden sich als zusätzliche Sicherheit ca. 3000 Stabilisatoren (Polizeibeamte in Zivil).

Im Citybereich werden drei angekündigte Kundgebungen gegen den Reaganbesuch kurzfristig von der Polizei verboten. An den Kundgebungsorten haben sich schon mehrere hundert Personen versammelt. Von der Kreuzung Joachimsthaler Str./ Kudamm aus formiert sich ein spontaner Demonstrationszug in Richtung Breitscheidplatz. Die Polizei bildet ein Spalier rechts und links des Zuges, läßt ihn aber weiter Richtung Wittenbergplatz ziehen. Die Spontandemo wendet mehrmals, bis sie auf der Kreuzung Tauentzien/Nürnberger Str. ganz umstellt und zum Stehen gebracht wird. Die Teilnehmer sind jetzt eingeschlossen, mit ihnen aber auch einige Passanten. Die Eingeschlossenen werden ohne Angabe von Gründen am Verlassen des Kessels gehindert, wer es trotzdem versucht, erhält Schläge. Die ca. 500 Menschen werden von 15.00 Uhr bis gegen 20.30 Uhr festgehalten, davon mehrere Stunden im strömenden Regen. Ohne erkennbaren Anlaß prügelt die Polizei auf die Eingekesselten und Zuschauer ein. Erst nach Leibesvisitation und Personalienkontrolle können die Eingeschlossenen nach und nach den Kessel verlassen. Dabei werden willkürlich Personen festgenommen. Während der ganzen Zeit gab es von Seiten der Eingeschlossenen keinerlei gewalttätige Aktionen.

12.6./13.6.87

Kreuzberger Nacht
Im Kreuzberger Kiez um die Oranienstr. wiederholen sich die Ereignisse der letzten Nacht. Wieder sperrt die Polizei mit massiven Kräften die Oranienstr. mehrfach ab, veranstaltet Menschenjagden, setzt wahllos Knüppel und Tränengas ein. Menschen werden in Hinterhöfe und Hauseingänge gejagt und dort zusammengeschlagen. Die Kiezbewohner trauen sich kaum auf die Straße, fast alle Kneipen sind geschlossen. Auch Journalisten werden zusammengeschlagen, Aufnahmegeräte zerstört. Ein Lokal in der Oranienstr. wird mit Tränengas beschossen, das Lokal gestürmt und die Gäste flüchten in Panik in Hinterhöfe und Treppenhäuser.

13.6./14.6.87

Auch in der Samstagnacht marschiert die Polizei wieder in 36 auf. Wieder werden wahllos Menschen verprügelt und festgenommen. Das Haus Oranienstr. 202 wird von Polizeieinheiten gestürmt und ohne Durchsuchungsbefehl durchsucht. Dabei wird eine Wohnungstür eingetreten und rücksichtslos vorgegangen. Die Bilanz des Wochenendes: 366 Festnahmen und unzählige Verletzte (zum Teil sehr schwer).

16.6.87
Das Bezirksamt Kreuzberg sagt das Kreuzberger Stadtteilfest zur 750-Jahr-Feier ab. Der Stadtteil sieht sich durch die Ereignisse der letzten Tage diffamiert und kriminalisiert. Es gibt keinen Grund zum Feiern.

18.6.87
Mißtrauensantrag im Abgeordnetenhaus
Die Al stellt einen Abwahlantrag gegen Innensenator Kewenig. Sie macht ihm schwere Vorwürfe wegen der Polizeieinsätze der letzten Tage.
Der Antrag wird von der SPD unterstützt. Die CDU/FDP-Mehrheit lehnt den Antrag ab, Kewenig bleibt im Amt.


Bilanz | EA | Ereignisse 2 3 | Kessel | Kreuzberger Nächte | Lebensgefahr | Polizeifunk | Sani | Ströbele