Interview mit Rechtsanwalt Ströbele

Ist - Ihrer Ansicht nach - bei den Polizeieinsätzen rund um den Reaganbesuch die Rechtstaatlichkeit gewahrt worden, oder waren die Maßnahmen von Polizei und Senat schon außerhalb der Legalität. Kurz: Herrschte der Ausnahmezustand?

Am 11. und vor allen Dingen am 12. Juni sind Praktiken des Ausnahmezustandes angewandt worden. Kreuzberg befand sich faktisch im Belagerungszustand. Den Ausnahmezustand zeichnet es gerade aus, daß ohne konkreten Verdacht Personen festgenommen und Grundrechte für Tausende, Zehntausende auf einmal außer Kraft gesetzt werden. Einzelne traf es noch viel härter: Sie wurden nicht nur in ihrer Freizügigkeit beschränkt, ihnen wurde das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit vorenthalten; sie wurden von Amts wegen Körperverletzungen ausgesetzt. Das trifft vor allen Dingen auf die Menschen zu, die in dem Kessel am Tauentzien 5 1/2 Stunden festgehalten wurden, davon 2 1/2 bis 3 Stunden im strömenden Regen

Sehen Sie hinter den brutalen Polizeieinsätzen eine Strategie, eine bestimmte Politik des lnnensenators gegenüber der Opposition in der Stadt?

Zunächst darf man ja nicht vergessen, aus welchem Grund so vorgegangen wurde. Dieses Vorgehen ist von langer Hand geplant und immer wieder von allen Medien und den politisch Verantwortlichen der Stadt angekündigt worden. Es ging hier ganz offen darum, während des Besuchs des US-Präsidenten das Trugbild aufrecht zuerhalten oder überhaupt erst herzustellen, daß West-Berlin wie ehemals Kennedy jetzt Reagan nahezu einheitlich zujubelt. Dazu waren 20.000 Menschen ausgewählt worden, die am Brandenburger Tor jubeln sollten. Unterstützt wurden sie dabei von den polizeilichen Stabilisatoren, wie Jubelpolizisten in Zivil ja heute heißen.

Das abzusichern war die polizeiliche Aufgabe. Nur so ist es auch zu erklären, daß die drei Protestveranstaltungen, die parallel zum Reaganbesuch in der Innenstadt stattfinden sollten, ausnahmslos ganz kurzfristig wenige Stunden vor dem geplanten Beginn verboten wurden.Danach hat die Polizei über diese Versammlungsorte hinaus faktisch ein Meinungskundgebungsverbot für die gesamte Innenstadt verhängt.

Das ist sicherlich nicht nur eine polizeiliche Strategie gewesen, sondern auch eine politische Strategie. Sie hatte letztlich keinen Erfolg.

Was der Innensenator und die Polizeistrategen erwarteten, haben sie nicht erreicht. Der Protest ist artikuliert worden. Ich glaube, er ist unter diesen Umständen vielleicht noch deutlicher geworden, als das durch die drei Kundgebungen möglich gewesen wäre.

Was muß den Ereignissen jetzt folgen?

Die Tatsachen müssen auf den Tisch. Es muß in einer breiten Offentlichkeit klargemacht werden, was hier praktiziert wurde. Es gibt ja immer noch die wildesten Gerüchte. Beispielsweise über die Leute, die im Kessel am Tauentzien eingeschlossen worden sind. Alle Journalisten, die nicht selber am Ort waren, die Politiker, die es überhaupt sehen wollen, müssen darauf gestossen werden, was hier passiert ist.

Weiterhin ist es nötig, die Gerichte zu bemühen, sie zu veranlassen, die Sachverhalte aufzuklären und die Rechtslage zu beurteilen.

Ich nehme an, in einem halben oder dreiviertel Jahr, wenn sich die Gerichte äußern, werden auch noch weitere Politiker einsehen, daß das, was hier praktiziert worden ist, krass rechtswidrig und eben der Ausnahmezustand war. Man wird einsehen, daß es Praktiken waren, die durch kein Gesetz gedeckt werden können

Die politische Forderung muß natürlich ganz eindeutig lauten, daß diesem Senat das staatliche Gewaltmonopol nicht gegeben werden darf. Dieser Senat hat das staatliche Gewaltmonopol in krassester Weise mißbraucht. Daraus muß man die Konsequenzen ziehen.. Dieser Senat darf nicht weiter über polizeiliche Gewaltmittel verfügen.


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